Originalveröffentlichung in: Gethmann-Siefert, Annemarie (Hrsg.): Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik (Hegel-Studien : Beiheft ; 27), Bonn 1986, S. 117-138
WERNER BUSCH (BOCHUM) WILHELM VON KAULBACH — PEINTRE PHILOSOPHE UND MODERN PAINTER Zu Kaulbachs Weltgeschichtszyklus im Berliner Neuen Museum
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Wilhelm von Kaulbach. 129. DOR VISCHERS verwandt ist. VISCHER hatte Hegels Konzeption der dritten Stufe.
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フリードリヒ・テーオドーア(Friedrich Theodor Vischer, 1807-87)en
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Wilhelm von Kaulbach 127 als eine durchbildete, durchkochte wieder zu objektivieren".12 Als Prozeßbeschreibung ist dies, denkt man vor allem an die psycho-physischen Erklärungsmodelle am Ende des Jahrhunderts und VISCHERS eigene weitere Entwicklung, erstaunlich differenziert und sprachlich grandios, als Gebrauchsanweisung für den Künstler kann natürlich auch dieses Rezept nicht taugen. Auch SPRINGER wandelte sich; mit Blick auf KAULBACH kreierte er 1858 gar einen »humoristischen Idealismus*, ganz offensichtlich als Folge der Lektüre von SCHASLERS KAULBACH-Abhandlung.13 Wir wollen das hier nicht weiter fortführen, etwa auf die Ausdeutung des CARRiEREschen Begriffes der »perso-nifiziertenden Idealbildung" (s. Anm. 10) ebenso verzichten, wie auf die Nachzeichnung von ROSENKRANZ' Rechtfertigung des Häßlichen als einer Secundogenitur des Schönen (AestheHk, 386 f). In ihrer Konsequenz für die Kunstpraxis laufen all diese Konzepte schlicht auf dasselbe hinaus. Mit KAULBACH — kein Wunder — setzen sich all die genannten Theoretiker auseinander, man denke nur an ROSENKRANZ' ungemein treffende Interpretation von Kaulbachs Narrenhaus in der Ästhetik des Häßlichen.1* Alle diese Denker können die idealistische, wie auch immer Hegeische Basis ihres Kunstbegriffes nicht aufgeben; anders ausgedrückt: sie mögen auf das Kernstück klassizistischer idealistischer Kunsttheorie, das Imitatio-Konzept, nicht verzichten. Was sie im Gegensatz zu Hegel nicht sehen, ist, daß sie zum einen die Kunst mit ihren Vorstellungen überfordern; was allerdings noch schwerer wiegt, ist, daß sie zum anderen die historische Inadäquatheit ihrer Forderungen nicht erkennen. Dabei haben sie das sich stellende Problem nicht selten benannt. VISCHER 1841: .Die Kunst biegt sich auf sich zurück und macht sich selbst zum Gegenstand."15 VISCHER 1842: »Reflektierend und wählend steht jetzt der Künstler über allen Stoffen, die jemals vorhanden waren und sieht den Wald vor Bäumen nicht"16. Spätestens seit Hegel wußten sie alle, daß man in der Gegenwart im Zeitalter der Reflexion angelangt war — SPRINGER: »wir Kinder der Reflexion" (Springer, 111). Und in der Tat ist Stilisierung, die sie alle in der einen oder anderen Form den Künstlern anempfahlen, eine •2 Friedrich Theodor Vischer: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. Vierter Teil. Die Kunstlehre. Bildnerkunst/Malerei. 2. Aufl. München 1923. 228. 13 Anton Springer: Geschichte der bildenden Künste im neunzehnten Jahrhundert. Leipzig. 1858.108-124: »Der humoristische Idealismus" (zuerst in: Die Gegenwart. 12 [1856], 719-26). Im folgenden zit: Springer. 14 Aesthetik des Häßlichen, 308 f. Ausführlich zu Kaulbachs Narrenhaus: Werner Busch: Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 7 9. Jahrhunderts. Habilitationsschrift. Bonn 1979.124-211 (im Druck). 15 Friedrich Theodor Vischer: Overbecks Triumph der Religion. (1841). In: Kritische Gänge. Bd 5. 7. 16 Friedrich Theodor Vischer: Der Zustand der jetzigen Malerei. (1842). In: Kritische Gänge. Bd 5. 37.
adäquate künstlerische Form der Reflexion. Nur sahen sie einseitig in der Stilisierung der Form einen Verweis auf das Ideal, auf transzendente Symbole oder den Weltgeist, nicht aber auf real erfahrene Gegenwarts- und Kunstprobleme. Daß KAULBACH dagegen in der Stilisierung eben diese realen, innerweltlichen Probleme reflektierte, wenn er auch vorgab, mit dem Weltgeist ins Gespräch zu kommen, das sei an einer etwas genaueren Untersuchung seiner Vorstellung von Ironie zu belegen versucht. Zu Recht haben seine Hegelianischen Exegeten betont, daß das Verhältnis von Fries zu Hauptbildern, von Rahmen zu Bild ironisch sei. Bei den Hauptbildern des Zyklus wird die Moderne mit der letzten Darstellung, der Reformation (Abb. 5), eingeläutet. Früh hat man gesehen, daß allein bei diesem Bild das Licht von rechts kommt, das Licht der neuen Zeit, das Licht der Gegenwart aus der Zukunft, und man hat auch gesehen, daß dieses Licht nur noch auf eine weitere Figur des begleitenden Zyklus' historischer Gestalten fällt: auf den direkt links vom Bild der Reformation erscheinenden FRIEDRICH IL, den Großen (Kaiser, 10,11, 29). Das erhellt KAULBACHS Epochenverständis, das etwa dem FRIEDRICH THEODOR VISCHERS verwandt ist. VISCHER hatte Hegels Konzeption der dritten Stufe der Epochenabfolge kritisiert: Hegel sah die Gegenwart weiterhin im christlich-romantischen Zeitalter verharren; VISCHER warf Hegel vor, er habe die Moderne, die der Gegenwart »die Welt erst geschenkt hat", nicht begriffen, er habe die »ungeheure Kluft", die uns von der mittelalterlich-christlichen Welt trenne, nicht wahrgenommen17 und die Selbstauflösung des Christentums seit der Reformation, verstärkt noch durch die Aufklärung, den zentralen Säkularisierungsprozeß nicht realisiert.18 Die ungeheure Kluft, die die Moderne seit der Reformation von der vorherigen Geschichte trennt, deutet KAULBACH durch die paradoxe Lichtführung an, ihre weitere historische Vertiefung nach der Reformation vertritt FRIEDRICH IL, die Verkörperung der Aufklärung. Im Lichte der Aufklärung steht auch die Gegenwart. Das Versprechen der Aufklärung wartet auf seine Einlösung im gegenwärtigen Zeitalter. Im Fries darüber zieht KAULBACH die Konsequenzen aus den Ver-weltlichungsprozessen in Reformation und Aufklärung in kulturgeschichtlicher Hinsicht. Der Fries endet scheinbar ganz optimistisch — nachdem er zuvor allerdings schon auf die Irritation durch die moderne Technik hingewiesen hatte — jenseits des Reformationsbildes über der Personifikation der Kunst in der Gegenwart mit drei GOETHE, HUMBOLDT und JAKOB GRIMM vertretenden Putten. Der Natur- und der Sprachwissenschaftler stellen dem Dichter das Material der Poesie zur Verfügung. Auf dem Reformationsfresko taucht KAULBACH selbst auf: als DüRERS Farbenreiber, der den an den Aposteln malenden Vater der deutschen Kunst darauf hinweist, daß LEONARDO, RAFFAEL und MICHELANGELO ZU einem Besuch eingetroffen sind. Auch dies scheint positiv gemeint: erst in der Gegenwart scheint die Vereinigung deutscher und italienischer Kunstqualitäten möglich zu sein, KAULBACH selbst sieht sich vor die Aufgabe gestellt, diese Synthese zu leisten. Bei der Forderung nach Vereinigung unterschiedlicher Kunstqualitäten zu neuem Ideal handelt es sich allerdings um einen alten Topos klassizistischer Kunsttheorie, und gerade über klassizistische Kunsttopik macht KAULBACH sich in seinem Fries mehrfach lustig. So parodiert er die Xeuxis-Anekdote vom Künstler, der täuschend ähnlich malt,19 und den Topos vom Naturenthüllen20 — was vor ihm schon REMBRANDT21 und, KAULBACH wohl vertraut, WILLIAM HOGARTH im 18. 17 Friedrich Theodor Vischer; Kritische Gänge. Bd 4.174 f; Busch, op. cit. (Anm. 14), 38 f. 18 Dazu Willi Oelmüller: Friedrich Theodor Vischer und das Problem der nachhegelschen Ästhetik. Stuttgart 1959. 71. " Erwin Panofsky: ldea. Leipzig 1924. 5 ff; Renesselaer W. Lee: Ut pictura poesis: The Humanistic Theory of Painting. New York 1967. 10 f. 20 Vgl. Wolfgang Kemp: Natura. Ikonographische Studien zur Geschichte einer Allegorie. Phil. Diss. Tübingen 1970, Bamberg 1973. 164-69. 21 ]. A. Emmens: Rembrandt en de regels van de Kunst. Utrecht 1968. 147 ff, 200 f.
135 liehen Bildersprache ihr Leben zurückgeben, den Mythos neu stiften. Nicht anders verhält es sich bei CASPAR DAVID FRIEDRICHS Tetschner Altar(Abb. 9).31 Das Innenbild zeigt ein Kreuz im Gebirge, nicht Christus selbst am Kreuz, sondern nur ein Bildwerk, die Natur ist Reflexionsraum des nur zu erinnernden Ereignisses Kreuzigung, der geschnitzte Rahmen liefert die christlichsymbolische Interpretation des Innenbildes durch die Darstellung der tradierten christlichen Zeichen. Das Symbol hat auf Grund seiner Traditionsmächtigkeit in der Realität Bestand, wie die verfaßte Kirche, die Stellvertreterin Gottes auf Erden. Der unmittelbare Glaube hat sich jedoch verflüchtigt. Die JRede des toten Christus vom Weltengebäude herab, daß kein Gott sei" aus JEAN PAULS Siebenkäs ist das allerdings in seiner Ironie und Verzweiflung sehr viel direktere literarische Pendant zu FRIEDRICH und RUNGE.32 Ohne daß das hier ausgeführt werden könnte,33 so ist doch darauf aufmerksam zu machen, daß der Rahmen auch weiterhin bei Nazarenern, Spätromantikern und Klassizisten ironische Reflexionsform des allein nicht mehr lebensfähigen Innenbildes sein kann. KAULBACH steht in dieser Tradition. Er kannte dieses Verfahren sicher nicht allein von den Frühromantikern, sondern von seinen Lehrern, Mitarbeitern und Freunden CORNELIUS, SCHWIND, GENELLI und NEUREUTHER. Am ehesten mag er an SCHWINDS Symphonie (Abb. 10) gedacht haben, die 1849 im Karton fertig war und die mit den Mitteln der Arabeske zwar nicht zu einer Versöhnung, aber doch zu einem, wenn auch labilen Gleichgewicht, zu einer Koexistenz in der Kunst von Allegorischem und Realem, von Natur und Geschichte kommt. Ganz geht das allerdings nicht ohne verräterische Absurditäten ab, neben einem von Zeus in Adlergestalt entführten Ganymed gibt es dann auch eine Allegorie des bürgerlichen Badekuraufenthaltes. MARX kommentiert Entsprechendes im 18. Brumaire mit der Bemerkung, daß das unheroische Bürgertum sich während seiner Revolutionen wohl der klassischen Ideale und Kunstformen bediene, um die beschränkten Inhalte seiner Kämpfe zu verbergen, doch nach Erreichen der Ziele die Verkleidung gleich wieder ablege, um sich der ihm eigenen Prosa zu widmen. Und er drückt auch aus, was genau gleichzeitig KAULBACH von ganz anderer Warte aus genauso empfunden haben muß: 31 Es gilt das gleiche wie für Runges Tageszeilen (s. Anm. 29), auch für Friedrichs Telschner Altar sei nur auf die Standardmonographie verwiesen, wenn auch gerade in den letzten Jahren die Deutung des Tetschner Allares in verschiedenen Arbeiten vorangetrieben wurde: H. Börsch-Supan und K. W. Jähnig: Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnung. München 1973. Kat. Nr. 167. n]ean Paul: Werke. Bd 1. Wiesbaden o. J. 890-94 (2. Bändchen. Erstes Blumenstück.). 33 Hinweise hierzu bei Busch, op. cit. (Anm. 13), 74-77; zum folgenden den Deutungsversuch in diese Richtung, 77-85.
138 Werner Busch »Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden*.3« Entlastung von dem Alp rinden idealistische Künstler offenbar nur noch durch Ironie, Parodie und Zynismus. Denn Kunst steht offenbar allein noch als Kunstgeschichte zur Verfügung, Historienbilder des 19. Jahrhunderts sind nicht mehr Geschichtsbilder, sondern Geschichtswissenschaftsbilder, religiöse Bilder nicht mehr Kultgegenstände, sondern Kunstreflexionen über die Geschichte des religiösen Bildes. Will der Künstler den Bankrott des Thematischen nicht zu seinem eigentlichen Thema machen, so bleibt ihm nur eins, er muß den Prozeß der Naturerfahrung und des Kunstmachens selbst zu seinem Thema erklären und dafür Darstellungsformen finden. KAULBACH kam nicht so weit. Er blieb Klassizist und Idealist, wenn auch ein zweifelnder. Sein Zweifel brachte keine transzendentale Ironie mehr, keinen idealistischen Humor, sondern innerweltliche, subjektive ironische oder zynische Interpretation hervor, die, weil die Konvention der Kunst es erforderte, so tat, als ginge es um mehr, nicht ohne allerdings hier und dort, wie um sich selbst zu behaupten, bewußt die Konvention zu brechen. Insofern ist KAULBACH sowohl peintre-philosophe als auch modern painter.35 3tKarl Marx: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. In: Karl Marx-Friedrich Engels: Werke. Bd 8. Berlin 1960. 116, 114. •«Im Sinne von John Ruskins Modern Painters. 1843.
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